28. Mai 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Gespinnstmotte verkleidet Pfaffenhütchen als Gespenster

 Ruth Gestrich-Schmitz

Das schöne Wetter der letzten Wochen lockt viele Menschen nach draußen, wo man auf Spaziergängen die Natur genießen und den Geist entspannen kann. Alles grünt und blüht, die Natur explodiert förmlich in dieser Jahreszeit. Vögel ziehen ihren Nachwuchs auf, Bienen und Hummeln sind eifrig mit Nektarsammeln beschäftigt.

Wer genauer hinsieht, dem fallen jetzt im Frühjahr beim Gewöhnlichen Spindelstrauch (Euonymus europaeus), wegen des Aussehens seiner Früchte auch Pfaffenhütchen genannt, silbrig glänzende Gespinnste auf, in denen sich jede Menge gelbbraune Raupen mit dunklen Punkten und schwarzem Kopf tummeln. Dort haben sich die gefräßigen Larven der Pfaffenhütchengespinnstmotte (Yponomeuta cagnagella) breitgemacht. Von Mai bis Ende Juni fressen sie - unter dem vor Fressfeinden und vor Regen schützenden Schleier - genüsslich die noch zarten Blätter des Strauchs, oft bis zum Kahlfraß. Richtig gespenstig wirken dann die Pflanzengerippe, es sieht fast so aus als habe Christo die Sträucher verhüllt.

Die Raupengespinnste sind erstaunlich reißfest. Sie lassen sich in langen Bahnen von den befallenen Pflanzen abziehen. Im 18. und frühen 19. Jh. wurde dieses feine, dichte Material in Tirol, Salzburg und Süddeutschland als Unterlage für Spinnwebenbilder benutzt: In einen Papprahmen gespannt diente es als Malgrundlage vor allem für Aquarelle. Ein Großteil der überlieferten Bilder stammt vom Tiroler Maler Johann Burgmann, der meist Heiligendarstellungen für Südtiroler Kirchen schuf.

Übrigens tragen die Larven der Pfaffenhütchengespinnstmotte keine mit Nesselgift gefüllten Brennhaare wie beim Eichenprozessionsspinner und sind daher für Mensch und Tier nicht gefährlich. Nach der etwa siebenwöchigen Fraßphase verpuppen sich die Larven. Im Juli/August schlüpfen die kleinen Falter, die nur eine Flügelspannweite von etwa zwanzig Millimetern erreichen. Die Vorderflügel sind weiß mit feinen schwarzen Punkten, die Hinterflügel braungrau. Die weiblichen Falter suchen geeignete Futterpflanzen für ihre Nachkommen, indem sie sich an spezifischen Duftstoffen der Wirtspflanzen orientieren. Mit Sexualpheromonen locken sie die männlichen Falter an. Nach der Kopulation stirbt das Männchen, das Weibchen kann bis zu sechzig Tage alt werden. Die weiblichen Falter legen ihre Eier in Häufchen von etwa fünfzig Stück meist in der Nähe von Knospen auf der Wirtspflanze ab und bedecken sie zum Schutz mit einer schnell aushärtenden Sekretschicht. Nach drei bis vier Wochen schlüpfen die kleinen Larven und überwintern unter ihrem Schutzschild, den sie dann im kommenden Frühjahr verlassen, wo sie zunächst im Inneren der Knospen ihre Fressphase beginnen, bevor sie mit der Gespinnstbildung anfangen.

Ist eine Wirtspflanze komplett kahlgefressen, bedeutet das nicht unbedingt, dass sie abstirbt. Da die Fraßzeit der Raupen in der frühen Vegetationsperiode liegt, treiben die meisten Pflanzen nach zwei bis drei Wochen im Sommer wieder aus.

Gespinnstmotten kommen auch an Weißdorn, Pappeln oder Weiden, und an Nutzgehölzen vor, wie die Pflaumengespinnstmotte (Yponomeuta padella) und die Apfelgespinnstmotte (Y. malinellus). Starker Befall kann hier zu verminderter Fruchtbildung führen. Das Auftreten der Gespinnstmotten wird durch die Witterungsbedingungen beeinflusst: Zum Massenbefall kann es bei trockenen Sommern kommen, die sich positiv auf den Falterflug und die Eiablage auswirken, und nach milden Wintern, in denen deutlich mehr Larven überleben als in frostreichen. Negativ wirken sich anhaltende Niederschläge und starker Wind aus: Partnerfindung und damit die Eiablage werden beeinträchtigt. Auch natürliche Feinde wie Schlupfwespen und Raupenfliegen, Ohrwurm, Grüne Florfliege, Ameisen, Viren, Fadenwürmer oder Pilzbefall wirken einer ungehemmten Ausbreitung entgegen.

Weil die meisten Gespinnstmotten keine Nutzgehölze befallen, verzichtet man in der Regel auf eine Bekämpfung der Raupen. Sollte eine Bekämpfung der Gespinnstmotten dennoch nötig sein, wird davon abgeraten, Insektizide zu benutzen, da dabei nicht nur die Schädlinge, sondern auch die Nützlinge sterben. Das Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, empfiehlt, im zeitigen Frühjahr die noch kleinen Gespinste auszuschneiden und zu entsorgen.

 

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zuletzt bearbeitet am 9.VII.2020