3. Dez. 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Scheu, doch häufig in Wald und Flur zu beobachten

 Karl Josef Strank

Im Kreuzworträtsel wird häufig nach einem scheuen Waldtier mit drei Buchstaben gefragt. Antwort: Reh. Neben der Weihnachtsgans kommt an den bevorstehenden Festtagen oft auch ein Rehbraten auf den Tisch. Rehen – Bambi lässt grüßen – bringen wir durchaus Sympathie entgegen. Wildfleisch von Reh, Hirsch und Wildschwein steht wegen des intensiven Geschmacks hoch im Kurs und gilt als Delikatesse. Da die Tiere in Herbst und Winter gejagt werden, ist das auch die Zeit der Wildgerichte, die für den Rest des Jahres in der Regel nicht auf der Speisekarte zu finden sind. Die saisonale Verfügbarkeit macht den Genuss noch begehrenswerter.

Rehe sind Geweihträger – auch wenn Jäger den Kopfschmuck des Rehbocks als „Gehörn“ bezeichnen – und unterscheiden sich von den Hirschen, die ganzjährig in Rudeln leben, dadurch, dass sie meist einzeln unterwegs sind. Im Winter suchen sie oft die Nähe von Artgenossen, und Jäger bezeichnen diese Ansammlungen mehrerer Tiere als „Sprünge“. Raumgreifende, weite Sprünge mit gestreckten Vorder- und Hinterläufen vollführt das Reh auf der Flucht. Ein leuchtend weißer Gesäßfleck, der „Spiegel“, dient dann als Rückleuchte zur Orientierung für die anderen.

Rehe sind erdgeschichtlich älter als Hirsche, sie repräsentieren den Urtyp der Hirschartigen. Sie lebten ursprünglich in dichten Wäldern mit üppigem Buschwerk, was noch heute an ihrem Körperbau abzulesen ist. Rehe haben einen schmalen Brustkorb, die Hinterläufe sind kräftiger und größer entwickelt als die Vorderläufe. Diese Keilform des Körpers ermöglicht das vergleichsweise lautlose Eintauchen in hohes Gras oder dichtes Unterholz. Rehe sind ein Erfolgsmodell der Evolution, sehr flexibel und anpassungsfähig. Sie sind ein klassisches Beispiel für einen Kulturfolger. Noch vor 150 Jahren waren Rehe nicht sehr häufig, inzwischen besiedeln sie aber alle Vegetationsformen von der offenen Feldflur, über strukturreiche Heckenlandschaften bis zu dichten Wäldern. In deutschen Fluren und Wäldern leben rund zwei Millionen Rehe. Die jährliche Strecke lag in der Jagdsaison 2018/19 bei rund 1,2 Millionen. Zum Vergleich beträgt diese für Hirsch- und Damwild zusammen etwa 143.000. Aufgrund des Fehlens großer Beutegreifer wie Bär, Luchs und Wolf ist der Rehbestand in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich angewachsen.

In Bezug auf die Nahrung sind Rehe sehr wählerisch und gelten als Feinschmecker. Sie fressen Kräuter, Knospen, Zweigspitzen, Blätter, Brombeeren, Himbeeren, Wildrosen. In der Feldflur bieten Kartoffel-, Mais-, Luzerne-, Brach- oder Getreideäcker ebenfalls reichlich Nahrung.

Voll ausgewachsene Rehböcke tragen ein Geweih, das wenig über die Ohren hinausragt und als sechsendig, zwei Hauptstangen mit je einer Vorder- und Hintersprosse, bezeichnet wird. Während der Brunft im Juli/August treiben die Böcke die Ricken durch die Felder, was auch tagsüber zu beobachten ist. Normalerweise sind Rehe dämmerungs- und nachtaktiv. Nach erfolgreicher Begattung werden die Kitze im Mai geboren. Das würde eine Tragzeit von bis zu zehn Monaten bedeuten, was für Tiere dieser Größenordnung ungewöhnlich ist. Im Dezember findet regelmäßig eine Nachbrunft statt von Ricken, die im Sommer nicht begattet wurden. Alle Kitze werden aber im Mai geboren. Der Trick ist eine Keimruhe bei den sommerbegatteten Ricken, denn die Embryonalentwicklung setzt bei allen im Dezember ein. Die Regel sind ein bis zwei, selten drei Kitze. Diese werden gesäugt und im hohen Gras abgelegt. Das braune Fell mit Reihen weißer Streifen auf dem Rücken bietet die ideale Tarnung. Die Ricke sucht das Kitz nur zum Säugen auf. Natürlicher Hauptfeind in der Feld- und Wiesenflur ist der Fuchs. Da die Geburten in der Zeit der ersten Wiesenmahd stattfinden, fallen viele Kitze den Mähwerken zum Opfer.

Scheinbar verlassene Kitze sollten nie angefasst werden. Die Ricke ist nicht weit, zeigt sich aber nicht, wenn Menschen in der Nähe sind. Menschengeruch führt dazu, dass sie das Junge verstößt. Die Flaschenaufzucht von Kitzen ist aufwendig bis schwierig.

 

voriger Artikel ← | → nächster Artikel

Auswahl nach Erscheinungsdatum

Auswahl nach Themenstichwort

Startseite

zuletzt bearbeitet am 5.I.2021