5. Nov. 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Efeu: Himmelsleiter oder Baumwürger?

 Karl Josef Strank

Der Schweizer Botaniker Gustav Hegi, Verfasser der Illustrierten Flora Mitteleuropas, zählt den Efeu „in morphologischer, biologischer, ökologischer und pflanzengeographischer Hinsicht zu den interessantesten Vertretern der mitteleuropäischen Pflanzenwelt.“

In der Antike war der Efeu eine kultische und den Göttern geweihte Pflanze. Dionysos, sein römisches Pendant ist Bacchus, Gott des Weines, der Freude, der Trauben, der Fruchtbarkeit, des Wahnsinns und der Ekstase wird mit einem Efeukranz und einem mit Efeu umwundenen Thyrsosstab dargestellt. Efeu steht für die Ausgelassenheit und das zügellose Feiern. Efeu behält auch im Winter seine Blätter, ist immergrün. Grün steht für Leben und Immergrüne symbolisieren seit alters her das ewige Leben. Da seine Triebe sich der Borke von Bäumen eng anschmiegen, steht er auch als Sinnbild für die innige Freundschaft und Treue. Efeu wurzelt mit kräftigen Nährwurzeln im Boden, verklebt sich mit Haftwurzeln an der Borke seiner „Wirts-Bäume“ und wächst hoch ans Licht. Auf kraftvolle Weise verbindet er damit Erde und Himmel wie eine Himmelsleiter.

Das typisch dreieckig gelappte Blatt des Efeus kennt jeder. Pflanzen, die ähnliche Blätter ausbilden, heißen mit Artnamen oft hederifolia, hederacea oder ähnlich nach Hedera helix, dem Efeu. Kriecht er über den Boden und windet sich an Bäumen empor, hat er die bekannten Blätter, die in zwei Reihen am Spross sitzen. Eine markante Veränderung tritt bei den Blühtrieben ein. Diese bilden keine Haftwurzeln mehr aus und ragen frei in den Raum. Die Blätter sind länglich-oval mit einer Spitze. Diese Blätter sind rundum am Spross verteilt. Die Blüten sind in Dolden angeordnet. Neben der Verschiedengestaltigkeit seiner Sprosse und Blätter ist der Efeu vor allem wegen seiner sehr späten Blühzeit bemerkenswert. Er liefert zum Ende der Vegetationsperiode, wenn es fast nicht mehr gibt, vielen Insekten, Bienen, Hummeln, Wespen, Fliegen, Schwebfliegen und sogar Schmetterlingen reichlich Pollen und Nektar.

Manche Baumfreunde halten den Efeu aber für einen Baumkiller. Er klettert in die Krone von Bäumen, umschließt mit seinen Trieben den Stamm mitunter komplett und bildet im Innern eine eigene üppig wuchernde Krone, die Stamm und basale Teile der Seitenäste umgibt. Zur Rettung solcher Bäume wird dann oft zu rigorosen Mitteln gegriffen und die dicken Efeusprosse an der Basis der Baumstämme werden gekappt. Der Baum sieht dann oft traurig aus. Die abgestorbenen Efeutriebe überziehen den Stamm wie braune, tote Adern. Ob diese Maßnahme dem Baum hilft, ist fraglich. Er wächst außen mit neuen Trieben weiter, die innere Krone wird nicht wieder grünen.

Mehrere Argumente, warum der Efeu einen Baum schädigt, werden angeführt: 1. Efeu parasitiert mit seinen Wurzeln die Rinde. Echte Parasiten wie die Mistel oder der Teufelszwirn entwickeln hierzu Saugorgane, sogenannte Haustorien. Diese sind beim Efeu nie nachgewiesen worden. 2. Efeu dunkelt den Baum aus, die belaubten Äste bekommen zu wenig Licht. Efeu verträgt Schatten und wächst am Stamm und an basalen Seitenästen. Ein Baum entwickelt darüber meist eine reich verzweigte, eigene Krone, die genug Licht hat. 3. Efeu erstickt die Rinde. Das Gegenteil ist der Fall. Efeu schützt exponierte Bäume vor Rindenbrand und Frostschäden. 4. Efeu erdrosselt den Baum. Hierzu sagt Hegi: „Im allgemeinen hat der Efeu auf die von ihm in Besitz genommene Pflanze keinen nennenswerten Einfluss, zumal er doch nur selten den Stamm einer Stützpflanze ganz umklammert und einschnürt, um dann als echter Baumwürger den Tod herbeizuführen.“ Aus evolutionärer Sicht bringt die „Würgestrategie“ dem Efeu auch keinen Vorteil. Er braucht lange, um in den Baum hineinzuwachsen. Erst dort angekommen bildet er Blüten und Frucht. Würgt er dann den Baum und bringt ihn vorzeitig zum Absterben, schadet er sich selbst.

Es ergibt also absolut keinen Sinn, einem Baum helfen zu wollen und seine Efeutriebe zu kappen. Trägerbaum und Efeu leben seit langem symbiotisch zum gegenseitigen Vorteil zusammen.

 

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zuletzt bearbeitet am 27.XII.2020