6. Aug. 2020

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Das Zimbelkraut – ein graziles Mauerblümchen

 Astrid von Reis

In „Die Blumen und das Leben“, ein Gedichtzyklus von Ludwig Bechstein (1801-1860), steht über das Zimbelkraut: „Niedliche Pflanze, du kleidest der alten Ruine Gemäuer, rankend hinab und hinauf blühest du einsam für dich. Sey der Erinnerung Bild, die, der Einsamkeit traute Genossin, oft des vergangenen Glücks sinkendes Luftschloss, umgrünt.“

Schöngeistige Zeilen, die das Zimbelkraut (Cymbalaria muralis), eine Pflanzenart aus der Familie der Wegerichgewächse (Plantaginaceae) trefflich skizzieren.

Ursprünglich kommt die krautige, ausdauernde Pflanze aus dem Mittelmeerraum, wo sie zwischen Geröll und Kieselsteinen wächst und Felsspalten besiedelt. Vermutlich mit Skulpturen und Statuen sowie dem Stein- und Marmorhandel wurde sie früh in Europa verbreitet und ist inzwischen weltweit an alten Mauern und Felsen zu finden.

Erstmals beschrieben hat sie im 16. Jahrhundert der Frankfurter Arzt und Botaniker Adam Lonitzer. Die leicht nach Kresse schmeckenden, herzförmigen, an der Oberseite dunkelgrün und unterseits meist rötlich gefärbten Blätter mit gelappten Blatträndern sollten als Brei aufgetragen werden. Sie wurden als wundheilend und entzündungshemmend angeführt. Auch als Vitamin-C-Lieferant wurde das Zimbelkraut nach langen Wintern im Salat geschätzt.

Darüber hinaus fand die grazile, kriechende Pflanze, die mit ihren bis zu 60 cm langen, fadenförmigen Trieben bei Erdkontakt bewurzeln und hübsche Teppiche bilden kann, ihren Platz als Zierpflanze in Parks und Gärten: Mindestens zur Verschönerung von tristen oder langweiligen Mauern, Ruinen und ähnlichen Lebensräumen, wie ihr lateinischer Artname „muralis“ (Mauer) verrät. Denn hier fühlt sich die Pflanze herkunftsbedingt und als Vertreterin der sogenannten Mauerfugengesellschaft wohl. Anders gesagt, sie kommt mit den oft kärglichen, stickstoffarmen trockenen Bedingungen der Sekundärlebensräume – meist konkurrenzlos – aus und bereitet als gebietsfremde Pflanze (Neophyt) hierzulande keine Probleme, sie hat eine freie Nische gefunden.

Zwischen Mai und September treibt das Zimbelkraut hellviolette, bis 1 cm große Blüten aus, die an die Blüten des Löwenmäulchens erinnern. Sie sind zygomorph (bestehen aus zwei spiegelgleichen Hälften) und Maskenblumen mit Kronblattsporn. Bei Maskenblumen ist die Unterlippe der Blüte über die Oberlippe gestülpt und dadurch mechanisch verschlossen. Zur Bestäubung muss ein kräftiges Fluginsekt die Unterlippe nach unten drücken, um an Nektar und Pollen zu gelangen. Dies sind beim Zimbelkraut meist Bienen und Schwebfliegen, die trickreich durch Staubbeutelattrappen in Gestalt von knallgelben Blütenmalen auf der Unterlippe angezogen werden.

Auch hinsichtlich der Verbreitung der Samen ist die Pflanze sehr trickreich bzw. spezialisiert. Sind die Blütenstiele noch recht kurz und in Richtung Sonne, also positiv phototrop ausgerichtet, drehen sich nach der Befruchtung die Fruchtstiele negativ phototrop in Richtung Mauerspalte und nehmen erheblich an Länge zu. Die Samenkapseln werden in Richtung optimales Keimbett transportiert und es wurde ermittelt, dass ca. 15 Prozent der Samen dadurch sicher platziert werden.

Sowohl der wissenschaftliche Gattungsname, als auch der deutsche Name verheißen schallenden Klang wie von Zimbeln. „Cymbalaria“ stammt vom griechischen „kymbalon“. „Kymbe“ bedeutet Topf oder Becken und „ballein“ werfen oder schlagen. Doch hier war die leicht vertiefte Form der Blätter Namen gebend, welche an die kleinen Schlagwerkzeuge, die Paarbecken, erinnert. Das Zimbelkraut ist fürwahr ein wahres „Mauerblümchen“, welches so viel bedeutet wie eine „Blume, die an einer Mauer blüht und fernab von anderen Artgenossen ihr Dasein fristet“. Auch bescheidene Menschen werden so genannt, die nicht gesehen oder angesprochen werden.

Das Zimbelkraut ist jedoch ein Hingucker. Es ist eher mit den ebenfalls als Mauerblümchen bezeichneten mauernden Skatspieler*innen zu vergleichen, die trickreich das Spiel gewinnen wollen.

 

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zuletzt bearbeitet am 12.IX.2020