15. Aug. 2019

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Roter Schnee durch die Alge des Jahres

 Joachim Schmitz

 

Alge? - Wasserpflanze mit 4 Buchstaben. So kennen das zumindest die Kreuzworträtselfreunde. Dabei sind Algen die ältesten Pflanzen der Erde und entsprechend vielfältig. Wenn man nur mal die makroskopischen - also mit bloßem Auge erkennbaren - Rotalgen, Braunalgen, Grünalgen und Armleuchteralgen nimmt, sind die weniger miteinander verwandt als Blütenpflanzen mit Farnen und Moosen. Nach der neuesten molekulargenetischen Einteilung werden die Braunalgen als Chromista sogar von den Archaeplastida abgetrennt, zu denen Rot-, Grünalgen und alle weiteren Höheren Pflanzen gehören.

Die Sektion der Algenforscher in der Deutschen Botanischen Gesellschaft lobt seit mehreren Jahren eine Alge des Jahres aus. Die Wahl fiel diesmal auf Chlamydomonas nivalis, eine einzellige Grünalge, die sich allerdings im Laufe ihrer Entwicklung intensiv rot färbt und ausschließlich in alpinen bzw. polaren Klimaten auf Schnee vorkommt. Mit bloßem Auge ist sie nicht sichtbar. Da sie gewöhnlich gleich in Massen auftritt, färbt sie den Schnee aber doch auffällig rot. Deshalb wird der Schnee auch als Blutschnee bezeichnet. Im anglo-amerikanischen Sprachraum sieht man das deutlich entspannter, dort wird die Farbe mit dem Saft einer Wassermelone verglichen und da heißt das dann „watermelon snow“.

Blutschnee in den Alpen

Die Gattung Chlamydomonas umfasst etwa 600 Arten, die fast alle im Süßwasser leben, einen großen Chloroplasten (Ort der Fotosynthese) und zwei Geißeln zur Bewegung haben. Auch C. nivalis besiedelt Süßwasser, allerdings hat sich die Art auf Schmelzwasser bzw. den kleinen Wasserfilm auf einer Schneedecke spezialisiert, wo immer eine Temperatur von 0°C oder wenig darüber herrscht.

Das geht nur mit einigen sehr speziellen Anpassungen an dieses Biotop. Im Frühjahr bzw. nach der Schneeschmelze keimen normalgrüne Zellen, die intensiv Fotosynthese betreiben, Nährstoffe aufnehmen und sich reichlich ungeschlechtlich vermehren. Wenn die mineralischen Nährstoffe im Schmelzwasser aufgebraucht sind und die Sonnenstrahlung immer intensiver wird, verwandeln sie sich in Geschlechtszellen, die sich paarweise zu einer sogenannten Zygote vereinigen. Diese Zygote verwandelt sich dann in eine Zyste, ein Dauerstadium zur Überwinterung. Zum Schutz vor der starken UV-Strahlung wird der rote Farbstoff Astaxanthin gebildet, der chemisch zu den Carotinoiden gehört, die es auch bei vielen Höheren Pflanzen gibt. (Das funktioniert genauso, wie wenn wir braunen Hautfarbstoff bilden, um uns vor der Sonne zu schützen.) Dadurch werden die Zellen erst orange, dann intensiv rot. Außerdem speichern die Zellen Zucker und Fett, die Zellwand wird verstärkt und Mineralien, die Silicium, Eisen und Aluminium enthalten, werden eingelagert. So können die Zygoten dann den alpinen Winter überdauern. Zur Schneeschmelze „erwachen“ die Zygoten, durchlaufen die Reifeteilung (Meiose) und bilden jeweils 4 begeißelte, grüne Zellen. Damit ist der jährliche Lebenszyklus geschlossen.

Der mysteriöse rote Schnee hat Wissenschaftler schon sehr lange beschäftigt. Die älteste Beschreibung stammt von Aristoteles! Bis ins 19. Jahrhundert hat man sich aber nicht wirklich einen Reim darauf machen können, was den roten Schnee bewirkt. 1819 brachte eine britische Expedition in die Arktis unter Sir John Ross Proben mit, die an die Botaniker Robert Brown und Francis Bauer gegeben wurden. Brown (das ist der, der die Brown’sche Molekularbewegung entdeckt hat) vermutete richtig eine einzellige Alge, sein Kollege Bauer hielt das für einen Pilz, den er Uredo nivalis nannte. Erst im 20. Jahrhundert hat sich die Erkenntnis verfestigt, dass es sich um eine einzellige Grünalge handelt, die der Gattung Chlamydomonas zuzuordnen ist.

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zuletzt bearbeitet am 1.I.2020