22 Nov. 2018

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Ausbreitung von Pflanzen in Zeiten des Klimawandels

Joachim Schmitz

Wärmere Durchschnittstemperaturen und mildere Winter erlauben es wärmeliebenden bzw. richtiger kälteempfindlichen Arten sich weiter auszubreiten. Ein paar Beispiele möchte ich hier vorstellen.

Das Schmalblättrige Greiskraut (Senecio inaequidens) stammt aus Südafrika und ist immer mal mit Baumwolle nach Europa gekommen. In Essen-Kettwig gab es eine Wollfabrik, die bei Botanikern für die Exoten berühmt war, die aus dem Abfall wuchsen. In den 1920er-Jahren tauchte die Art dort auf, konnte sich aber nicht behaupten. Um 1970 geschah etwas sehr Merkwürdiges: Gleichzeitig wurden von Bremen, Nordseehäfen in den Niederlanden und um den Botanischen Garten Tübingen Verwilderungen berichtet. In der Fachliteratur konnte man dann Jahr für Jahr die unaufhaltsame Ausbreitung der Art nachverfolgen. Heute ist sie eine Allerweltspflanze. Die rasche Ausbreitung konnte man sich damals nicht erklären. Es gab Spekulationen, dass sich eine Variante entwickelt hätte, die mit einer kürzeren Vegetationsperiode zurechtkommt. Aber dann hätte ja mindestens dreimal unabhängig voneinander gleichzeitig in verschiedenen Populationen die gleiche Mutation passieren müssen, was sehr unwahrscheinlich ist.

Aus Asien stammt der Götterbaum (Ailanthus altissima), der lange in Europa nur in Parks vorkam, daraus aber fast nie verwilderte. Die Illustrierte Flora von Mitteleuropa von 1925 nennt zwei Funde von 1906 bei Freiburg und Mannheim. Nach dem II. Weltkrieg erschien die Art auf den Trümmerflächen der großen Städte. In Berlin und Wien konnte sich der Götterbaum halten, verbreitete sich aber kaum weiter. Noch 1989 stellt der Österreichische Naturführer Vorkommen in Brachflächen in Wien als botanische Besonderheit heraus. Um 1990 erfuhr ich auf einer Tagung von der Entdeckung der Art in einer Straßenböschung in Bonn. In der Karte im Atlas der (...) Blütenpflanzen des Rheinlands 1995 kann man sehen, dass sich die Art anschließend entlang der Rheinschiene verbreitete. Die Ausbreitung ist weiter gegangen. Heute kommt der Götterbaum z. B. auch in Aachen vor. Wegen seiner aggressiven Vermehrung durch Wurzelbrut gilt der Götterbaum inzwischen als invasive Art. Einen Eindruck davon kann man gewinnen, wenn man von Westen in den Kölner Hauptbahnhof einfährt. Dort wachsen etliche Exemplare neben und sogar zwischen den Gleisen.

1995 berichtete ein Artikel in einer Fachzeitschrift von der Ausbreitung des Purpur-Storchschnabels (Geranium purpureum) entlang von Eisenbahnstrecken am Mittelrhein. Die mediterrane Pflanze war bisher als unbeständig für die Pfalz angegeben. Im Jahre 2000 konnte ich sie an der Mosel finden und war dann sehr überrascht, die Art kurz danach in den Bahnhöfen Horrem und Essen-Kettwig zu finden. Die Nachsuche in benachbarten Bahnhöfen war erfolglos. Heute dürfte die Art viel weiter verbreitet sein. Auf Bahngelände in Aachen und Herzogenrath habe ich sie schon gesehen.

Der Purpur-Storchschnabel unterscheidet sich vom allgegenwärtigen Stinkenden Storchschnabel durch die kleineren Blüten mit gelben Staubgefäßen im Zentrum.

Den Stink-Pippau (Crepis foetida) kannte ich von der Nahe. Der Atlas von 1995 zeigt kein Vorkommen im Rheinland. 2001 fand ich die Art am Blausteinsee, einem künstlichen See in einem rekultivierten Braunkohlegebiet bei Eschweiler, 2004 dann nochmal in Aachen-Rothe Erde.

Neben völlig neuen Arten sind viele wärmeliebende Arten, die früher vereinzelt an mikroklimatisch begünstigten Stellen vorkamen, deutlich häufiger geworden. Beispiele sind der Sommerflieder (Buddleja davidii), die Dach-Trespe (Bromus tectorum) sowie mehrere Arten Borstenhirse (Setaria) und Fingerhirse (Digitaria). Und was Laien immer wieder zum Staunen bringt: Am Rheinufer ist die Tomate (Solanum lycopersicum) inzwischen fest eingebürgert.

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zuletzt bearbeitet am 27.XII..2018