31. Aug. 2017

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wer kurz lebt, muss schnell fliegen: Taubenschwänzchen reisen mit 40 km/h

Angelika Greif

Es ist Spätsommer und im Balkonkasten erfreuen die leuchtend bunten Petunien das Herz. Doch heute gibt es außer uns noch einen weiteren auffälligen Interessenten an der Blumenpracht – ein kleiner orangebrauner Flugkünstler scheint im Schwirrflug in der Luft zu stehen, während er blitzschnell Blüte für Blüte nach Nektar absucht. Auf jede Bewegung der Pflanze reagiert der Flieger sofort, zielsicher trifft sein Saugrüssel jede Nahrungsquelle.

Nicht nur seine Geschwindigkeit ist beeindruckend, auch flugtechnisch ist dieses Tier eine Ausnahmeerscheinung. In Sekundenbruchteilen fliegt es nach oben, nach unten, vorwärts, seitlich und auch rückwärts. Möglich wird dies durch die zweigeteilten, bräunlich-schwarz gefärbten Büschel an seinem Hinterleib, der das exakte Navigieren in der Luft erlaubt.

Bei dem Taubenschwänzchen (Macroglossum stellatarum) handelt es sich um einen tagaktiven Schmetterling aus der Familie der Schwärmer (Sphingidae). Würde es nur einmal ruhig sitzen, ließe sich der mit 30 Millimetern lange Saugrüssel betrachten. Mit dessen Hilfe gelangt es auch an tief liegende Nektardrüsen.

Mit stolzen 0,3 Gramm ist das Taubenschwänzchen ein Leichtgewicht und ein Spitzensportler, der in sechs Sekunden eine Beschleunigung von null auf 70 Kilometer hinlegt, aber ebenso mit 70 bis 90 Flügelschlägen pro Sekunde scheinbar in der Luft steht. Solche Höchstleistungen kosten Energie. Der kleine Schwärmer muss pro Tag mehr als einen halben Milliliter Nektar zu sich nehmen, was beispielsweise, je nach Ausbeute, den Besuch von 1300 bis 5000 Blüten des Roten Fingerhuts erfordert.

Daher ist er nicht wählerisch bei der Auswahl seiner Futterpflanzen. An Rispen oder Doldenblütlern fliegt er bis zu 100 Blüten pro Minute an. Beliebte Nektarquellen sind Natternkopf (Echium), Storchenschnabel (Geranium) oder Ziest (Stachys), aber er verschmäht auch Kultur- und Gartenpflanzen wie Luzerne (Medicago), Flammenblume (Phlox) oder Schmetterlingsflieder (Buddleija) nicht. Diese breite Palette ist ein Vorteil, wenn man mit einem ständig wechselnden Angebot von Futterpflanzen konfrontiert ist. Denn das Taubenschwänzchen ist ein Wanderfalter.

Wanderfalter überwinden teils große Distanzen zwischen ihren Reproduktions- und ihren Verbreitungsgebieten. So fliegen Tagfalterarten wie der Admiral (Vanessa atalanta) und der Distelfalter (Vanessa cardui) jedes Jahr über die Alpen zu uns und zum Teil weiter bis nach Skandinavien. Gleiches tun die Taubenschwänzchen.

Viel Zeit für die Reise haben sie allerdings nicht. Je nach Generation beträgt ihre Lebensspanne nur vier Wochen oder bei Überwinterung fünf Monate. Wer kurz lebt, muss schnell fliegen: Taubenschwänzchen reisen mit durchschnittlich 40 Kilometern pro Stunde und können so bis zu 3000 Kilometer in weniger als 14 Tagen zurücklegen. Das ist eine weitere Spitzenleistung, unter den Wanderfaltern sind die Schwärmer die schnellsten.

In der ersten Jahreshälfte sind die erste und zweite Generation im Mittelmeerraum aufgebrochen und haben bereits eine Alpenüberquerung hinter sich, wenn wir sie im heimischen Garten sichten. Die Tiere der dritten Generation entwickeln sich hier und kehren im Herbst entweder in die Mittelmeergebiete zurück, wo ihre Eltern geboren wurden. Oder sie versuchen, bei uns in Kellern, Baumhöhlen oder anderen geeigneten Quartieren zu überwintern, was ihnen dank der milderen Winter immer besser gelingt.

Aber was bringt die Reise in nördlichere Gebiete ohne Gewähr auf Überlebens- oder gar Reproduktionsmöglichkeit? Eine Erklärung sieht die Biologie in der „zufälligen Arealerweiterung“. Vielleicht sind die Lebensbedingungen in der Terra incognita ja günstig oder werden günstiger. Das Taubenschwänzchen konnte sein Reproduktionsgebiet bis auf die Azoren ausdehnen.

Fernstreckenreisen sind also nicht nur für uns von besonderer Bedeutung. Wenn Sie nach einem Aufenthalt in Südfrankreich im heimischen Garten ein Taubenschwänzchen entdecken, könnte es sein, dass Sie vielleicht genau diesem Schmetterling im Urlaub schon mal begegnet sind…

 

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zuletzt bearbeitet am 26.X.2017