26.Nov.2015

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Mit Anis Nerven beruhigen, Schmerzen stillen und Hochzeitsgäste beglücken

Karl Josef Strank

Neben Zimt dominiert ein weiterer charakteristischer Geruch die Weihnachtsmärkte, wenn man sich einem Stand mit Süßigkeiten nähert: der Duft von Anis. Intensiv und in reiner Form zu genießen ist das Aroma mit den goldgelben, glasigen Klümpchen, die neben vielen anderen angeboten werden.

Anis, Pimpinella anisum, ist ein typischer Doldenblütler. Das einjährige Kraut duftet in allen Teilen sehr stark, am intensivsten die Samen, wo sich in Ölgängen der Schale die ätherischen Substanzen konzentrieren. Anis wird als Gewürz- und Heilpflanze verwendet. 2014 ist sie in Deutschland zur Heilpflanze des Jahres gekürt worden.

Auch Karl der Große ließ den Anis im „Capitulare de villis“ verzeichnen, was seine umfassende Bedeutung als Heilpflanze unterstreicht. Er ist eine sehr lichtbedürftige Pflanze, die aus dem Süden stammt. Archäobotanische Nachweise belegen, dass er erst mit den Römern ins Rheinland gekommen ist. Laut Vergil backten die Römer Kuchen und Kekse mit Anis. Samen fanden sich sogar bei Ausgrabungen im Kolosseum, was darauf schließen lässt, dass Zuschauer der grausamen Gladiatorenkämpfe zur Beruhigung der Nerven Anisgebäck knabberten und einige Kekse zwischen den Sitzreihen verloren hatten. Wegen entsprechend starker Nachfrage der Samen wurde Anis im Altertum in Ägypten, Syrien, Griechenland und auf Zypern feldmäßig angebaut. Die reifen Pflanzen wurden gemäht und die Samenkörner ausgedroschen.

Im Mittelalter baute man Anis zeitweise auch nördlich der Alpen in Thüringen und um Magdeburg an, aber das Wetter war nie verlässlich genug, um die Früchte in jedem Sommer ausreifen zu lassen.

Das ätherische Öl besteht zu 90 Prozent aus Anethol. Es wirkt sekretionsanregend, schleimlösend, auswurffördernd und leicht antibakteriell. Anis wirkt bei Verdauungsbeschwerden und Magen- und Darmkoliken „magenwärmend und galletreibend“. Es ist jedoch nicht so stark wie Fenchel und Kümmel. Die antibakterielle Wirkung des Öls wird bei der Herstellung von Mundwasser und Halstabletten genutzt.

Anis steigert die Milchsekretion bei stillenden Frauen und stellt wegen seiner östrogenen Wirkung ein wertvolles Mittel gegen Periodenschmerzen dar. Traditionell gilt Anis als Aphrodisiakum und sexuelles Stimulans. Seit alters her wird Anis in der Bäckerei für Plätzchen, Zwieback, Brezeln, Brot und Pflaumenmus verwendet.

Mädchen und Frauen bereiteten im Herbst nach der Feldarbeit, wenn die ruhigere Jahreszeit kam, ihren Männern anishaltige Getränke. Besonders wirken sollte das am 30. November, dem Andreastag, der traditionell in vielen Regionen als Markttag gefeiert wurde.

Der Aniskringel, eine alte Opferspeise in Norddeutschland, wurde bei Gildegelagen, Erntefesten, beim Ringreiten und Frühlingsfesten in süßes Bier oder Met eingebrockt gereicht. Am Hochzeitstag teilte die Braut dieses Gebäck an bevorzugte Gäste aus. Bis heute hat sich der Brauch gehalten, dass ein Hochzeitskuchen mit Anis gebacken wird. Ebenso wird er als typisches Weihnachtsgewürz in Süddeutschland bei den „Springerle“ und diversen anderen Weihnachtsplätzchen sowie für die „Braunen Kuchen“ in der Lüneburger Heide verwendet.

Liköre und Aperitifs wie Bohnenkamp, Sambuca, Raki, Ouzo, Arrak, Aguardiente und in Frankreich Anisette, Pastis und Pernod werden mit Anis hergestellt. Mit Wasser verdünnt, nehmen diese Getränke eine milchige Farbe an. Heute benutzt man zum Würzen von Anisgetränken meistens Sternanis, der genauso schmeckt und riecht, botanisch aber mit Pimpinella anisum nichts zu tun hat, Illicium verum heißt und ein Vertreter der Magnoliengewächse aus Japan und Korea ist.

Es mutet merkwürdig an, dass Taubenzüchter fremden Tauben, die sie gekauft hatten, zur Eingewöhnung in den neuen Schlag für einige Wochen Anisplätzchen verfütterten. Man könne sogar mit Anisöl Tauben in den Schlag zurücklocken. Es ist hingegen purer Aberglaube, dass ein Grünspecht die härtesten Hölzer durchbohren könne, wenn er sich den Schnabel mit Anis bestriche. In der Bretagne sollte Eisen bei Berührung mit Anis wie Glas brechen.

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zuletzt bearbeitet am 24.XII.2015