22.Mai 2014

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Im Karlsgarten ist der Maulbeerbaum ein guter Schattenspender

Ruth Gestrich-Schmitz

Seidenraupen und Maulbeerbäume passen gut zueinander: Die Blätter dienen den Larven des Maulbeerspinners (Bombyx mori) als Nahrung und so wurde der Weiße Maulbeerbaum (Morus alba) in China etwa 2800 v. Chr. zur Züchtung der Seidenraupen in Kultur genommen. Erst Ende des 9. Jh. wurde die Seidenraupenzucht in Sizilien und Spanien eingeführt; im 12. Jh. entwickelte sich in Italien eine eigenständige Herstellung von Seidenstoffen.

Mit dem Namen „morarios“ in der Pflanzenliste des Capitulare de villis Karls des Großen (um 800) ist der wohl aus dem zentralasiatischen Raum stammende Schwarze Maulbeerbaum (Morus nigra) gemeint. Älteste Funde dieses Baumes kommen aus Griechenland und Serbien. Mit den Römern gelangte die Maulbeerkultur in die Provinzen nördlich der Alpen. Im Rheinland sind aus der Zeit Karls des Großen Pollenkörner sowie Teilfrüchte von Maulbeeren nachgewiesen. Zahlreiche Fruchtfunde aus Latrinen Norddeutschlands zeigen die Bedeutung der Schwarzen Maulbeere in der Obstversorgung der mittelalterlichen Bevölkerung. Die reifen, violett-schwarzen Fruchtstände von Morus nigra ähneln Brombeeren und schmecken süß-säuerlich. Da die Früchte leicht verderblich und schlecht transportfähig sind, werden sie meist zu Marmelade, Sirup, Gelees, Pasten oder zu Wein (vinum moratum) verarbeitet, oder man verwendet sie zum Färben von Rotwein – ähnlich wie Holunder. Der Schwarze Maulbeerbaum wurde traditionell in Kloster- und Pfarrgärten und auch in Bauerngärten angepflanzt. Nicht nur als Obstlieferant, sondern auch als Heilmittel diente der Maulbeerbaum in der Antike und im Mittelalter: Den Sud aus den Blättern empfiehlt Hildegard von Bingen äußerlich angewendet gegen Krätze.

Dioskorides meint, der Saft aus den Blättern sei gut gegen Spinnenbisse und Zahnschmerzen, und dass er, zusammen mit Reblaub und schwarzen Feigenblättern in Regenwasser gesotten, die Haare schön schwarz färbe. Maulbeersaft mache „Stuhl und Bauch“ weich, und die Brühe aus der Wurzelrinde wirke gegen Spulwürmer und auch gegen Vergiftungen mit Eisenhut. Sirup aus den Früchten wurde angewendet bei Fieber, Durchfällen, Hals- und Mandelentzündung. In der Bibel im Alten Testament (1. Makkabäer: 6,34) ist zu lesen, dass Kampfelefanten roter Wein und Maulbeersaft (vermutlich war er vergoren) verabreicht wurde, um sie angriffslustiger zu machen.

Der Schwarze Maulbeerbaum gehört neben dem Weißen und dem Roten Maulbeerbaum, deren Namen sich auf die Farbe der reifen Früchte beziehen, zusammen mit der Feige zur Familie der Maulbeergewächse (Moraceae), die beerenähnliche Scheinfrüchte ausbilden und Milchsaft führen. Vor oder mit dem Austreiben der wechselständig angeordneten, fünf bis 15 Zentimeter langen und zehn Zentimeter breiten, zugespitzten, an der Basis herzförmigen Blätter, erscheinen im Mai/Juni unscheinbare Blüten, männliche und weibliche in getrennten Blütenständen auf einer oder zwei verschiedenen Pflanzen. Im Juli/August reifen die winzigen, eng zusammengepackten Früchte in Fruchtständen von bis zu zwei Zentimetern Länge heran.

Der Maulbeerbaum liebt fruchtbare und durchlässige Böden und eine sonnige, geschützte Lage; er ist etwas frostempfindlich. Das Holz des Maulbeerbaums wird oft mit dem der Ulme verglichen. Es ist hart, dauerhaft und schwer spaltbar. Es eignet sich zum Drechseln und ist gut polierbar. Vom Iran bis nach Indien werden daraus heute noch Trommeln, Klanghölzer und Saiteninstrumente gebaut. Das Wurzelholz mit seiner schönen Maserung wird gerne für Intarsienarbeiten verwendet.

Die Blüten des Maulbeerbaums haben zwar keinen Zierwert, aber das prächtige Laub ist reizvoll. Die Bäume mit ihren reich verzweigten, ausladenden Kronen können beschnitten und zu schatten-spendenden Spalieren und Lauben geformt werden: Im Würzburger Hofgarten kann man an heißen Sommertagen unter Maulbeerarkaden lustwandeln wie einst die Fürstbischöfe. Und im Karlsgarten in Aachen-Melaten dient der Schwarze Maulbeerbaum an heißen Tagen als Schattenspender bei Führungen.

 

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zuletzt bearbeitet am 3.VII.2014