7.Nov.2013

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Wie grüne Lappen, die auf dem Boden kriechen: Brunnenlebermoos

Joachim Schmitz

Diese Pflanze hat wohl jeder schon mal gesehen, aber die wenigsten dürften sie zur Kenntnis genommen haben: Brunnenlebermoos. Ihre grünen Lappen, die flach auf dem Boden kriechen, etwa bis zwei Zentimeter breit werden und sich an der Spitze nach ein paar Zentimetern gabelig in zwei Tochterlappen aufteilen, sehen gar nicht so aus, wie man sich eine Pflanze vorstellt.

In meinem uralten Schulbuch, das ich aus Sentimentalität aufbewahrt habe, werden Pflanzen, die nicht aus Stängeln, Blättern und Wurzeln bestehen, Lagerpflanzen genannt. Der Begriff „Lager“ wird kaum noch benutzt. Heute ist der wissenschaftliche Name „Thallus“ für einen solchen Pflanzenkörper üblich.

Brunnenlebermoos (Marchantia polymorpha) kam in vorgeschichtlicher Zeit nur an überrieselten Felsen, Quellen und ähnlichen Stellen vor. Der Mensch hat die Zahl der möglichen Standorte dramatisch vermehrt. Gemauerte Fassungen von Quellen und Bächen, Brunnen und überhaupt alle Stellen, an denen die Luftfeuchtigkeit die meiste Zeit relativ hoch ist, werden angenommen. Das mag auch eine schattige Gartenterrasse sein. In Gewächshäusern und Anzuchtbeeten von Staudengärtnereien kann das Brunnenlebermoos regelrecht zur Plage werden.

Das Brunnenlebermoos vermehrt sich sowohl geschlechtlich als auch ungeschlechtlich. Fast immer finden sich auf der Oberseite des Thallus Brutbecher, in denen kleine Zellpakete zur vegetativen Vermehrung abgesondert werden. Für die geschlechtliche Vermehrung dienen sehr auffällige schirmförmige Gebilde. Dabei gibt es getrennte Geschlechter. Im männlichen Geschlecht gehen von dem „Schirmstiel“ acht breite Strahlen ab, auf denen die Geschlechtszellen gebildet werden. Der weibliche Schirm hat meist neun schmale Strahlen. Hier werden die Eizellen in den Winkeln zwischen den Strahlen gebildet. Nach der mittelalterlichen Signaturlehre hat man aus der lappigen, mit einiger Fantasie leberähnlichen Gestalt eine Wirkung auf Leberkrankheiten abgeleitet. In der Homöopathie wurde das Brunnenlebermoos auch verwendet. Heute gibt es anscheinend keine medizinische Anwendung mehr. Jedenfalls kommt daher der Name Lebermoos. Es gibt noch eine ganze Reihe ähnlicher Arten. Aber nur das Brunnenlebermoos ist als Kulturfolger so häufig, dass der Name Lebermoose auf die ganze Verwandtschaft übertragen wurde.

Ein möglicher Urahn

Man kann davon ausgehen, dass Lebermoose zu den ältesten Landpflanzen überhaupt gehört haben. Da sie keine Hartteile und kein Holz bilden, sind fossile Belege sehr selten. Ein möglicher Kandidat für einen Urahn ist ein devonisches Fossil namens Parka decipiens, das mit der heutigen Grünalgen-Gattung Coleochaete in Verbindung gebracht wird. Die wächst nicht mehr fädig, sondern bildet ein zweischichtiges Gewebe aus, das flächig über die Unterlage kriechend wächst. Vermutlich sind die Lebermoose vor etwa 300 bis 400 Millionen Jahren aus solchen Vorfahren entstanden. Wahrscheinlich ist das an Flüssen und Bächen passiert, wo die Pflanzen auf Steinen am Ufer sich zunehmend daran angepasst haben, auch trockenere Phasen zu überstehen.

Also wenn Sie das nächste Mal das Brunnenlebermoos von der Veranda kratzen, verschwenden Sie bitte auch einmal einen Gedanken daran, dass diese Lebewesen schon mehr als hundert mal so lang auf der Erde existieren wie der Mensch.

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zuletzt bearbeitet am 22.XII.2013