29.Nov.2012

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Der Unsinn um die Siebenquellen in Aachen und der Strudelwurm

Joachim Schmitz

In Aachen-Seffent tritt in zwei künstlich gefassten Quelltöpfen Wasser aus. Diese „Sieben Quellen“ genannte Stelle hat übrigens auch dem Ortsteil Seffent den Namen gegeben. Schon in karolingischen Quellen taucht der lateinische Name Septem Fontes auf. Seit der Zeit der französischen Besatzung unter Napoleon hieß der Weiler Septfontaines, was in beiden Sprachen nichts anderes als sieben Quellen heißt. Geologisch ist die Bezeichnung Siebenquellen Unsinn, denn es handelt sich um eine einzige Quelle, die aus mehreren Spalten im Grundgestein austritt. Die Zahl Sieben ist wohl aus der Zahlenmystik zu erklären. Sieben gilt sowohl als Glückszahl wie auch als Rundzahl; Rundzahlen sind Zahlen, die einfach für eine größere Menge stehen, aber gar nicht als präzise Zahlenangabe gemeint sind

Schaut man einmal genau in die Quelltöpfe, sieht man auf den Kieseln am Wassergrund zahlreiche kleine, mehr oder weniger ovale schwarze Strukturen, die platt auf den Kieseln aufliegen. Wartet man eine Weile, kann man beobachten, dass Bewegung in die Sache kommt. Die Gebilde strecken sich und man sieht einen kaum mehr als einen Zentimeter langen, platten Wurm mit dreieckigem Kopf auf dem Boden kriechen. Es handelt sich um den Eckköpfigen Strudelwurm (Dugesia gonocephala).

Strudelwürmer gehören zum Stamm der Plattwürmer. Das ist eine uralte Tiergruppe. Zoologisch gesehen taucht hier zum ersten Mal bei den Embryos ein drittes Keimblatt auf, was die Bildung innerer Organe, zum Beispiel einer primitiven Niere, erst möglich macht. Die Tiere besitzen allerdings noch keine Leibeshöhle. Wir besitzen zum Beispiel eine Brust- und eine Bauchhöhle, in der die inneren Organe nur lose an Häuten aufgehangen sind. Das Innere von Plattwürmern ist massiv von Zellgewebe erfüllt.

Aufgrund ihres primitiven Bauplans sind Plattwürmer kaum gegen „modernere“ Lebensformen konkurrenzfähig. Deshalb haben sich die meisten heute noch existierenden Plattwürmer zu Parasiten entwickelt. Hierzu gehören etwa Bandwürmer und Leber-Egel. Nur die Strudelwürmer konnten als freilebende Organismen überdauern, weil sie sich auf sehr spezielle Gewässer zurückgezogen haben. Das sind vor allem Quellen und Gebirgsbäche kurz nach der Quelle. Deshalb werden Strudelwürmer auch als Bio-Indikatoren benutzt, das heißt: das Vorkommen einer bestimmten Strudelwurmart lässt Rückschlüsse auf verschiedene ökologische Faktoren und die Wasserqualität im Allgemeinen zu. Dem Eckköpfigen Strudelwurm wird ein sogenannter Saprobiewert von 1,6 zugeschrieben. Die Skala geht von 1 bis 4; 1,6 bedeutet also, dass das Gewässer eine hohe Qualität hat, was sich unter anderem in hohem Sauerstoffgehalt und geringer Schlammablagerung äußert. Wenn man in einer Quelle diesen Strudelwurm findet, kann man getrost daraus trinken (aber bitte nicht den Wurm mit verschlucken). In der Eifel und anderen Mittelgebirgen gibt es zwar verbreitet, aber nicht häufig Quellen und Bäche mit ähnlichen Bedingungen.

In der Entwicklungsbiologie sind Strudelwürmer durch ihre enorme Regenerationsfähigkeit berühmt geworden. Normalerweise würde jedes Lebewesen, das man der Länge nach durchschneidet, unweigerlich sterben. Nicht so bei Strudelwürmern. Arbeitet man in einem Medium, in dem die Zellen nicht austrocknen, kein Gewebswasser herausgezogen wird und kein Wasser durch das Zellgewebe aufgesogen wird, wächst die fehlende Hälfte einfach nach. Noch verrückter wird es, wenn man einen Strudelwurm vom Kopf her bis zur Hälfte durchschneidet. Dann wachsen auch wieder die fehlenden Körperteile nach und man bekommt ein zweiköpfiges Monster. Man muss allerdings sehr genau die Versuchsbedingungen einhalten, und auch unter Aspekten des Tierschutzes sind solche Experimente heute nicht mehr unproblematisch. Also liebe Kinder: Bitte nicht nachmachen!!!

 

Strudelwürmer in Siebenquellen (Foto: Joachim Schmitz)       


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zuletzt bearbeitet am 30.XI.2012