29.Dez.2011

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Maiglöckchen im Winter? Ein Sinnbild für Glück und Neubeginn.

Ruth Gestrich-Schmitz

Maiglöckchen im Winter? Ungewöhnlich, dachte ich, als ich in der kalten Jahreszeit einen Beitrag zu dieser schönen Maipflanze in einer Zeitschrift las. Eigentlich verbindet man mit Maiglöckchen den Frühling und den angenehmen Duft der weißen Blüten im Wonnemonat Mai. Wenig bekannt ist, dass das Maiglöckchen als Sinnbild für Glück und Neubeginn schon etwa Mitte des 15. Jahrhunderts Einblattdrucke mit guten Wünschen für das neue Jahr zierte. Im 19. Jahrhundert verschenkte man gerne Maiglöckchen zu Weihnachten und Neujahr.

Vor rund 150 Jahren begann man mit der Maiglöckchen-Treiberei: in den Vierlanden bei Hamburg, in Sachsen, Mecklenburg und Pommern. Drossen (das heutige Ośno Lubuskie/PL) wurde wegen der Maiglöckchen-Zucht als „Maiblumenstadt“ bekannt. Berlin und Hamburg waren damals die Zentren für den Maiblumen-Verkauf. Vom späten September bis in den November ist in den Vierlanden auch heute noch „Maibloomentied“, die Erntezeit für Maiglöckchenkeime. In dem heute noch größten deutschen Anbaugebiet für Maiglöckchen existieren zahlreiche Betriebe, in denen sogenannte Pulerinnen die geernteten verwelkten Pflanzen mit viel Fingerspitzengefühl auf Blühkeime prüfen. Viel Erfahrung muss eine Pulerin mitbringen, um Blüh- und Blattkeime zu unterscheiden und zu trennen. Die Blattkeime werden aussortiert und später wieder ins Freiland gepflanzt. Die Blühkeime werden zu je 25 Stück nach Größe gebündelt, in Kisten gepackt und bei minus drei bis minus fünf Grad gelagert. Durch die Kühlung können die Blühkeime nicht nur über viele Monate gelagert werden, sondern dadurch wird auch die Keimruhe gebrochen.

Damit die Maiglöckchen zu Weihnachten oder Silvester blühen, müssen die Eiskeime rund drei bis vier Wochen zuvor behutsam aufgetaut und angetrieben werden. Groß- und reichblühende Sorten mit wohlklingenden Namen wie Vierländer Glockenspiel, Havelperle, Elfenreigen, Elb-Juwel, Hitscherberger Riesenperle sind sehr beliebt.

Wie im Paradies
Seit jeher betört der süße Duft der Maiglöckchen die Menschen. Deshalb hat man die in Buchen- und Eichenwäldern wild vorkommende Blume mit ihren weißen Blütenglöckchen und ihren im Juli/August erscheinenden roten Beeren schon frühzeitig in die Gärten gebracht. Auf mittelalterlichen Gemälden wie dem um 1410 entstandenen „Paradiesgärtlein“ sind Maiglöckchen abgebildet. In den alten Kräuterbüchern erscheint das Maiglöckchen unter dem Namen Lilium convallium („Lilie im Tal“ oder „Lily of the Valley“, bis heute der englische Name für das Maiglöckchen), weil die deutschen Botaniker im 16. Jh. es für die in der Bibel im Hohelied Salomos 2,1 genannte Pflanze hielten.

Carl von Linné gab ihm seinen bis heute gültigen Namen Convallaria majalis, wobei der Artname majalis auf die Blütezeit im Mai hinweist. Neben der weißblühenden Form kommt in der Natur sehr selten auch eine rosa-blühende Mutante vor, die 1588 von Tabernaemontanus aufgeführt wird und 1613 als Lilium convallium flore incarnato im Hortus Eystettensis als Gartenpflanze erscheint.

Die in allen Teilen giftige Pflanze, die früher zur Familie der Liliengewächse zählte, heute auf Grund ihrer genetischen Verwandtschaft der Familie der Spargelgewächse (Asparagaceae) zugeordnet wird, enthält herzwirksame Glykoside, hauptsächlich Convallatoxin und Convallatoxol. Die Herz stärkende Wirkung wird bereits in den Kräuterbüchern des 16. Jhs. beschrieben, heute findet Convallaria noch in der Homöopathie Anwendung bei Herzerkrankungen.

Weil das Maiglöckchen früher als ein Symbol für die Heilkunde fungierte, ließen sich bedeutende Ärzte wie Nikolaus Kopernikus mit einem Maiglöckchen in der Hand porträtieren.

Das Maiglöckchen gehört wie die Lilie oder die Rose zu den sogenannten Marienblumen: Es steht mit seinen kleinen weißen, nickenden Blüten für die keusche Liebe, die Demut, die Bescheidenheit und die Reinheit.

Als Blume der Liebe wird es gerne in Brautsträuße gebunden. Dichter wie Eichendorff, Heine oder Hoffmann von Fallersleben haben dem Maiglöckchen Verse gewidmet. Und auch Parfümeure haben sich vom wohlriechenden Maiglöckchen inspirieren lassen: Das erste bekannte Maiglöckchenparfum wurde 1765 in London kreiert und verströmt seinen Duft heute noch unter dem Namen „Lily of the Valley“.

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zuletzt bearbeitet am 29.XII.2011