16.Sept.2010

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Weinraute: Aroma für römische Speisen und ein Helfer gegen die Pest

Ruth Gestrich-Schmitz

Alle zwei Jahre veranstaltet der Freundeskreis Botanischer Garten Aachen eine Gärten- und Park-Exkursion mit der Besichtigung von traumhaft schönen Parklandschaften, historischen und modern angelegten Gärten. Auf der Reise durch die Benelux-Länder besuchten wir die Villa Borg am Dreiländereck Deutschland-Frankreich-Luxemburg, eine nach antikem Vorbild rekonstruierte römische Wohnanlage. Bei strahlendem Sonnenschein war es ein besonderes Vergnügen, nicht nur die Villa mit ihren Wohnräumen und dem Badebereich zu besichtigen, sondern auch zu sehen, was die alten Römer in ihren Küchengärten anbauten. Für den kulinarischen Genuss bietet die Taverne Speisen an wie sie bereits vor 2000 Jahren auf den Tisch kamen, mit Gewürzen, die heute bei uns kaum bekannt sind. Das mir servierte Fischfilet in Sauerrahm-Kräutersoße war mit Weinraute (Ruta graveolens) zubereitet, was ihm einen außergewöhnlichen Geschmack verlieh.

Die Weinraute gehörte in der Römerzeit zu den beliebten und häufig genutzten Gewürzen: 101 Erwähnungen im Kochbuch des Feinschmeckers Apicius und den Exzerpten des Vinidarius zeugen davon. Die Weinraute passt hervorragend zu Soßen für Geflügel, Fisch und Wild, zu Bohnen, Erbsen, Linsen, Kardendisteln, Kräuterkäse und Wein. Ein Butterbrot mit einem Rautenblatt soll zudem gegen den Mundgeruch nach dem Genuss von Knoblauch wirken.

Die mit Orangen- und Zitronenbäumen verwandte Weinraute ist ein 20 – 90 cm hoher, am Grunde verholzter Halbstrauch mit zwei- bis dreifach gefiederten, blaugrün erscheinenden Blättern, die wiederum in zahlreiche, verkehrt eiförmige Fiederblättchen zergliedert sind. Grünlich-gelbe Blüten in reichblütigen Trugdolden zieren die Weinraute von Juni bis August. Da sich die winterharte Raute gut schneiden lässt, wurden schon in den römischen Gärten Rautenpflanzen als nützliche und zugleich dekorative Einfassungen der Gartenbeete gezogen.

Mit den Römern gelangten die Raute und das Wissen um ihre Verwendung als Würz- und Heilpflanze wie auch die Kenntnis vom Umgang mit der Pflanze zu uns: So zum Beispiel der Rat, beim Jäten von Rautenbeeten die Hände mit Öl einzureiben und zu schützen, denn durch Berührung von Rautenblättern blühender Pflanzen kann bei Sonneneinwirkung ein Hautausschlag mit nässenden Blasen hervorgerufen werden.

Der Name „Wein“-Raute wurde erst im späten Mittelalter geprägt, den charakteristischen weinartigen Geruch der Pflanze berücksichtigend. In der Pflanzenliste des Capitulare de villis Karls des Großen ist sie an sechster Stelle unter dem Namen „rutam“ vermerkt.

Im Mittelalter spielte die Weinraute eine herausragende Rolle in der sich entwickelnden Medizin. Paracelsus beschreibt ihre Wirkung bei Kopf- und Ohrenschmerzen und als universelles Gegengift. Sie galt als Mittel, Männer impotent und Frauen unfruchtbar zu machen. Bildende Künstler aßen gerne Rauke, weil sie laut Dioskorides die Schärfe des Augenlichts erhält. Eine Spülung mit Rautenaufguss hilft bei angestrengten und müden Augen; heute noch findet Ruta graveolens in der Homöopathie Anwendung bei Augenschmerzen.

Raute galt sogar als wirksamer Schutz gegen die Pest. Sie war Bestandteil des sogenannten „Vierräuberessigs“, auch als Pestessig bezeichnet: Eine Legende besagt, dass Rautenessig während der Pest in Marseille von vier grausamen Räubern getrunken wurde, die dadurch von der Ansteckung verschont blieben, obwohl sie die Pestkranken und Toten beraubten und so mit den Auslösern der Krankheit in Kontakt kamen. Solche Legenden gründeten wohl auch den Ruf der Pflanze als Zauberkraut und nährten den Glauben, dass Raute sogar den bösen Blick bannen und selbst vor dem Teufel schützen könne.

In der heutigen Zeit findet das aus Rautenblättern- und Samen gewonnene ätherische Öl als Grundstoff zur Herstellung von Mitteln gegen Rheuma und Gicht Verwendung in der Naturheilkunde. Die verdauungsfördernde Wirkung kommt bei der Anwendung als aromatischer Zusatz zum italienischen Grappa zur Geltung.

Wer Lust verspürt, einmal wie die alten Römer zu speisen und vielleicht auch zu baden, dem sei ein Ausflug zur Villa Borg in Perl (www.villa-borg.de) empfohlen, verbunden mit einem Abstecher ins nahegelegene Augusta Treverorum, dem heutigen Trier.


voriger Artikel ← | → nächster Artikel

Auswahl nach Erscheinungsdatum

Auswahl nach Themenstichwort

Startseite

zuletzt bearbeitet am 18.X.2010