5.Aug.2010

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Flechten: farbenfrohe und robuste Überlebenskünstler mit schlechtem Ruf

Inga Lutz

„ …Alge sucht bodenständigen Pilz zum Flechten.“ So etwa lautete der Beginn eines Textes, der mich auf diese ganz besondere Laune der Natur aufmerksam machte. Witzig fand ich die ‚Anzeige‘, neugierig machte mich der Wortlaut. Flechten haben mich seitdem nicht mehr losgelassen. Ich sehe sie überall und sie erfreuen mich immer wieder. Was hat es damit auf sich?

Bei meinen Flechten handelt es sich nicht um Zöpfe oder Schädigungen der Haut, sondern um herr-lich bunte Natur-Erscheinungen auf Steinen oder dem Erdboden, auf rostigen Metallen und auf der Rinde unserer Bäume und Sträucher. Hauseigentümer sehen sie nicht so gerne und rücken ihnen mit dem Hochdruckreiniger ‚zu Leibe‘. Oft werden sie als Schädlinge angesehen. Schade, denke ich dann immer! Wenn sie um die Bedeutung und Besonderheit wüssten, ob sie dann auch diese Lebewesen, diese bunten Flecken vernichten würden?

Als interessierter Laie fand ich folgendes heraus: Flechten heißen in der Wissenschaft Lichenes, die sich mit diesen Organismen befassende -kunde wird als Lichenologie bezeichnet. Weltweit gibt es etwa 25.000 Flechtenarten, im Euro-Raum um die 2.000. Flechten nehmen unter den Lebewesen eine beachtenswerte Sonderstellung ein. Die Verbindung von Alge und Pilz zu einer speziell auf einander abgestimmten Lebensgemeinschaft verleiht die Fähigkeit von einander zu profitieren, ohne sich zu schädigen. Es handelt sich also um eine echte Symbiose, kein Schmarotzertum. Stets ist der Pilz der bodenständige Partner, die Alge ‚sitzt‘ auf ihrem Pilz. Die Flechte selbst sitzt wiederum auf einer Unterlage, Gestein, Boden oder anderen Pflanzen auf, schädigt diese Unterlage aber in keiner Weise. Wie tropische Orchideen und Bromelien zählen sie damit zu den sogenannten Epiphyten.

Wuchsort und Untergrund – sowohl Pilzart als auch Standort – bestimmen die Wuchsform. Danach unterscheiden wir: 1. Krustenflechten, die sich sehr flach und innig dem Substrat auflegen und zum Teil mit diesem verwachsen, Beispiele sind die Landkartenflechten, die im Gebirge nackte Felsen besiedeln; 2. Laub- oder Blattflechten, die mehr oder weniger ausgedehnte blattartige Vegetationskörper bilden, Beispiele sind die Lungenflechte oder die Salatflechten, die breitlappig und grün meist in dichten Moospolstern wachsen; 3. Strauchflechten, die dünne, ast- oder strauchförmig verzweigte Vegetationskörper haben, bekannteste Beispiele sind die Bartflechten, die mitunter in den Bergwäldern üppige Behänge an alten Bäumen bilden und 4.Gallertflechten, die pustel- oder tröpfchenförmige, gallertig weiche Vegetationskörper entwickeln, Beispiele sind die Köpfchenflechte und die Heideflechte, die Boden oder erdnahe morsche Baumstümpfe besiedeln.

Flechten gehören zu den ältesten Lebewesen unserer Erde. Sie wachsen langsam! Bei ungünstigen Klima oder Versorgungsbedingungen, stellen sie ihr Wachsen vorübergehend ein, nehmen aber bei veränderten Bedingungen ihren Stoffwechsel wieder auf. Ein fein austariertes Geben und Nehmen ermöglicht es diesen anspruchslosen ‚Doppel-Lebewesen‘ in unwirtliche Lebensräume vorzudringen. So sind in Hochgebirgen, Polargebieten oder Wüsten Flechten zu finden. Viele Arten sind Pioniere, was bedeutet, dass sie als erste Lebewesen nacktes Gestein z.B. auf neu entstandenen Vulkanen besiedeln, lange bevor sich dort ein karger Boden entwickelt. Flechten sind weltweit verbreitet, neuen Bedingungen können sie sich gut anpassen. Ihre Fähigkeit komplett auszutrocknen und ihre Oberfläche zu verkrusten, macht sie gegen Witterungseinflüsse unempfindlich.

Bioindikatoren

Allerdings: Manche Flechtenarten sind gegenüber Luftverunreinigungen extrem empfindlich. So zeigte das Verschwinden vor allem höher entwickelter Flechten in Städten und im stadtnahen Grün schon im 19. Jahrhundert auf Empfindlichkeiten hin gegenüber Umweltveränderungen, z.B. anstei-gende Konzentration von Schwefeldioxyd in der Luft. Begriffe wie Flechtenwüste, Kampfzone, Übergangszone gegenüber Normalzone machen die Dramatik der Schädigungen deutlich.

Flechten sind Bioindikatoren für die Luftqualität, d.h. das Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Flechten indiziert, zeigt bestimmte Luftqualitäten an. Heute wird diese anerkannte Untersuchungs-methode in vielen Städten/Regionen eingesetzt. Erfreut wird eine Rückkehr von Flechtenarten festgestellt, die seit langem auf der Roten Liste stehen, wenn der Ausstoß von Abgasen aus Fabriken und Kraftfahrzeugen gemindert wird. Auch das macht mir die Flechten so sympathisch.

Sie bestärken uns, unsere Bemühungen um den Umweltschutz noch bewusster zu verfolgen, denn er zeitigt Erfolge. Bedrohte Flechten, die wieder zu finden sind, bestätigen es.

Flechten – eine bunte Vielfalt von Farben und Formen können unser Auge erfreuen, wenn wir sie bewusst wahrnehmen. Werden sie durch das Mikroskop betrachtet, offenbaren sie ihren filigranen Aufbau, ihre Vielfalt, ihre Farbenfreudigkeit.


 

voriger Artikel ← | → nächster Artikel

Auswahl nach Erscheinungsdatum

Auswahl nach Themenstichwort

Startseite

zuletzt bearbeitet am 18.X.2010