31.Dez.2009

NATURBEOBACHTER AUS DER REGION


Die Mistel - ein Wesen zwischen Himmel und Erde. Ein Glücksbringer

Mechtild Feese


Wenn wir im Winter spazieren gehen, werden uns die Bäume in der Vielfalt und Schönheit ihrer Umrisse und ihrer Gestalt bewusst und wir erfreuen uns an ihnen. Hin und wieder erblicken wir kugelige grüne Gewächse in dem kahlen Geäst, die wir im Sommer unter dem dichten Blätterdach nicht sehen können. Es sind Misteln, die als Halbschmarotzer auf Pappeln, Apfel- und Birnbäumen, Weiden, Ahorn und Robinien, auf Tannen, sehr selten auf Eichen und nie auf Buchen und Buchsbaum wachsen. Wir finden sie in Streuobstwiesen, an Flussläufen entlang - denn sie lieben Luftfeuchtigkeit - bis in eine Höhe von 1200 m, in Parks z.B. in Aachen am Hangeweiher und sogar mitten in der Stadt vor der Annaschule am Alexianergraben. Man muss nur sein Auge ein bisschen schulen, dann entdeckt man sie sehr schnell und an vielen unvermuteten Stellen.

Die Mistel, lateinisch „viscum album“, englisch „mistletoe“ und volkstümlich auch „Hexenbesen“ genannt, gehört zur Familie der Sandelholzgewächse, deren Vertreter in den Tropen, Subtropen und in den gemäßigten Zonen vorkommen. In Deutschland stehen die Misteln unter Naturschutz. Sie wächst relativ langsam als immergrüner Halbschmarotzer auf Bäumen. Ihre kurzen Äste verzweigen sich gabelig und kreuzen sich immer wieder in auffällig regelmäßiger Weise, so dass sie eine Kugelform ausbilden, die bis 1 m Durchmesser haben kann.

Die gelblich-grünen lederartigen Blätter sitzen gegenständig, sind lanzettlich schmal und verkehrt eiförmig und fallen oft erst nach mehreren Jahren ab. Die ebenfalls gelblich-grünen Blüten sind unscheinbar und wachsen im Februar/März getrennt voneinander an verschiedenen Pflanzen, denn die Mistel ist zweihäusig. Sie sitzen geknäuelt an den Stellen, wo die Äste und Zweige sich vergabeln. Im Spätherbst entwickeln sich weiße Scheinbeeren mit 1-2 Samen. Ihre Fruchtmasse ist schleimig, zähflüssig und klebrig, was der Pflanze auch den Namen „Schnuderbeere“(von norddeutsch Schnudder = Nasenschleim) einbrachte. Der Schleim wurde als Vogelleim benutzt und gab den lateinischen Namen viscum = Leim, album = weiß. Der Saft ist giftig für Kinder, Pferde, Hunde, Katzen und Nager. Der Giftgehalt richtet sich nach den Wirtsbäumen, bei Apfelbäumen ist er am geringsten, bei Pappeln, Walnuss, Linde, Ahorn und Robinie am größten. Die Besiedlung eines Wirts erfolgt über Vögel. Misteldrosseln, Spechte und Eichelhäher lassen ihren klebrigen samenhaltigen Kot auf die Äste fallen. Daraus entwickeln sich die Keimlinge, die chemische Stoffe absondern und das Rindengewebe auflösen, Wurzeln in die Leitgefäße des Baumes einsenken, über die sie Wasser und Nährstoffe entziehen. Einige Nährstoffe dürften die Pflanzen aber noch selber bilden, denn sie haben Blattgrün und können Fotosynthese betreiben.

Früher galt die Mistel als Allheilmittel. Hildegard von Bingen empfahl einen Mistelsud gegen Erfrie-rungen. Im Mittelalter wurde die Mistel gegen Epilepsie eingesetzt. Hier kam die Signaturenlehre zur Geltung, d.h. irgendein Teil oder eine Auffälligkeit der Heilpflanze entsprach oder ähnelte einem Element der zu heilenden Krankheit, sie trugen beide dasselbe „Zeichen“. So konnte eins das andere heilen. ln unserem Fall saß die Mistel auf dem Baum und konnte nicht auf die Erde fallen. Wenn sich also ein Mensch, der an der Epilepsie oder Fallsucht litt, einen Teil der Mistel einverleibte, konnte er auch nicht mehr fallen. Mistel half aber auch bei Herzschwäche, Verdauungs-und Stoffwechselstörungen, Wechseljahrbeschwerden und Geburten und Arteriosklerosen. Tatsächlich senken und regulieren Mistelprodukte den Blutdruck, stärken das Immunsystem und wirken ausgleichend auf das Nervensystem. Überdies hemmen sie die Zellteilung und sind auch giftig für manche Zellen, weshalb sie in der begleitenden Krebstherapie eingesetzt werden. Der Verband der Heilkräuterfreunde Deutschlands wählte die Mistel zur „Heilpflanze des Jahres 2003“.

Sehr häufig wurden Pflanzen, die auf anderen Pflanzen wachsen, Zauberkräfte zugeschrieben. Im Volksglauben wehrten Misteln, Hexenbesen, die auf Eichen sitzen, Unheil ab. Kindern hängte man Mistelzweiglein um den Hals, und man fertigte Mistelamulette an, die man „wider die Berufung und den bösen Blick“ verkaufte. Mistelzweige am Stallgebäude verhinderten Viehseuchen und erleichterten das Kalben.

Die Mistel wurde schon vor sehr, sehr langer Zeit als ein Zwischenwesen, als eine Pflanze des Über-ganges zwischen Himmel und Erde empfunden.

Mit einem magischen Zweig der Mistel öffnete Persephone die Pforten der Unterwelt. Mit einem Pfeil aus Mistelholz wurde Balder, der Gott des Lichtes in der germanischen Mythologie, von dem blinden Höd, dem der schöne und böse Loki den Arm führte, getötet, - zur Mitsommerwende - und das Licht musste langsam der Dunkelheit weichen.

Für die Kelten und ihre Priester, die Druiden, gab es nichts Heiligeres als die Mistel und der Baum, auf dem sie wuchs, der als von Gott selbst ausgewählt betrachtet wurde. Mit einer goldenen Sichel schnitt der in weiße Gewänder gehüllte Druide die Mistel ab - unweigerlich kommt Miraculix in Erinnerung, der ohne Mistel keinen Zaubertrank herstellen konnte. Zwei weiße Stiere wurden geopfert. Die Mistel wurde in einen Trank getan, der alle unfruchtbaren Tiere fruchtbar machen und ein HeiImittel gegen alle Gifte sein sollte.

Die Mistel galt als Glücksbringer in Hochzeitsbräuchen. Die grüne Farbe symbolisierte die Lebenskraft, den Vegetationssegen, die Fruchtbarkeit und das Wachstum. Zur Zeit der Wintersonnenwende und zu Weihnachten hängte man das Mistelgrün an die Haustür, um das Haus vor Schaden zu bewahren. Nach alter englischer Sitte werden heute noch Mistelzweige unter die Decke und über die Tür gehängt, und jeder darf das Mädchen oder die Frau küssen, die er „under the mistletoe“ einfängt. Dass dieser Brauch Teil eines alten Fruchtbarkeitsrituals war, dürfte den Meisten wohl unbekannt sein.

Wenn auch die Anglikanische Kirche noch heute verbietet, Kirchen mit der heidnischen Mistelpflanze zu schmücken, gilt doch für viele Engländer und zunehmend für andere Europäer „no mistletoe, no luck“. Und so wünsche ich Ihnen viel Glück im Neuen Jahr mit oder ohne Mistel.


 

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zuletzt bearbeitet am 8.VIII.2010