Name im Capitulare Nr. Botanischer Name Familie
olisatum
(30)
Angelica archangelica L. Apiaceae
 
 
 
 Engelwurz
deutscher Name 
 Grote engelwortel
niederländischer Name 
 archangélique vraie
französischer Name 
 garden angelica
englischer Name 
 
 
Beschreibung
 
Geschichte
 
 Verwendung
 

Botanische Beschreibung der Art

Die Pflanze treibt zunächt eine bodenständige Rosette mit sehr großen, dreifach gefiederten, hellgrünen Blättern. Die Fiedern letzter Ordnung sind eiförmig bis eiförmig-lanzettlich, bis 8 cm lang, mehr oder weniger gesägt oder gezähnt mit in einer weißen Spitze auslaufenden Zähnen. Im zweiten bis vierten Jahr treibt der mächtige Blütenstiel, der bei der Typusform 2 m, bei der Unterart A. arch. ssp. litoralis 3 m und mehr hoch werden kann. Am Ende entwickelt sich eine große Enddolde, mehrere Seitendolden folgen mit zeitlichem Abstand nach. Nach oben wird die Pflanze auch zunehmend stärker flaumig-zottig behaart. Vom Zentrum einer Dolde gehen 20-40 Doldenstrahlen ab, an deren Basis die Tragblätter (Hüllblätter) meist fehlen. Am Ende der Doldenstrahlen stehen die einzelnen schirmförmigen bis halbkugeligen Döldchen. Aus den Achseln zahlreicher schmaler Hüllchenblätter entspringen die Blütenstiele. Die zahlreichen, ziemlich kleinen Blüten besitzen einen unterständigen Fruchtknoten. Der Kelch ist auf einen undeutlichen Saum reduziert. Die grünlichen Kronblätter werden 1,5 mm lang und nicht ganz so breit. Im Gegensatz zu den meisten anderen heimischen Doldenblütengewächsen sind sie hier einfach eiförmig-zugespitzt und nur etwas an der Spitze eingebogen. Die Staubblätter sind viel länger (bis 3 mm), so dass die Gesamtdolde wie ein überdimensionales Nadelkissen aussieht. Zur Fruchtzeit zerfällt der Fruchtknoten in zwei nussartige, abgeflachte, seitlich schmal geflügfelte Teilfrüchte. Danach stirbt die Pflanze ab.

Bei der Kulturpflanze handelt es sich um die nordisch-eurasisch verbreitete Unterart A. arch. ssp. archangelica, deren Wildform aus den Gebirgen Skandinaviens und dem nördlichen Sibirien stammt. Diese Wildform (var. norvegica) wird nur 1 m hoch und besitzt eine einfache, wenig geteilte Rübe (oft fälschlich als Wurzelstock bezeichnet). Die Kulturform (var. sativa) wird bis 2 m hoch und hat eine kurze, dicke, durch zahlreiche Nebenwurzeln verzweigte Rübe. Welcher Form die Vorkommen in den höheren osteuropäischen Gebirgen zugehören, ist unsicher. Die Unterart A. arch. ssp. archangelica ist als Kulturpflanze nach Deutschland gebracht worden und nur gelegentlich, z.B. an einigen bayerischen Flüssen, verwildert.  Die nordisch-europäische Unterart Angelica archangelica ssp. litoralis kommt wild an den deutschen Meeresküsten vor und ist an den großen Flüssen wie an der Elbe, der Weser und am Rhein weit ins Binnenland vorgedrungen. Sie wird in allen Teilen deutlich größer als die ssp. archangelica und die Blüten gehen etwas mehr ins Graugrüne. In Geruch und Geschmack ist sie deutlich strenger als die Typusform, weshalb sie nur selten (z.B. in Pommern) in Kultur genommen wurde. Aus Russland und den asiatischen Gebirgen wurden eine Reihe von Sippen beschrieben, von denen nicht klar ist, ob sie noch zu dieser Art gehören; als Beispiel sei hier nur die Varietät himalaica genannt, die - wie man unschwer schließen kann - im Himalaja wächst. Angaben über Vorkommen in Griechenland und Kleinasien sind mit Sicherheit falsch; es ist auch schwer vorstellbar, wie es eine Pflanze im dortigen Klima aushalten soll, die wild auf Grönland und in den Bergtälern Islands gedeiht.
 

zum Seitenanfang
 

Geschichte

Der griechisch-römischen Antike war die nordische Pflanze unbekannt. Die älteste Nennung stammt aus Skandinavien aus dem 10. Jahrhundert. Dort wurde die Pflanze anscheinend als Marktware gehandelt. Bis heute ist die Engelwurz in den Ländern am Polarkreis eine geschätzte Heil- und Gemüsepflanze, u.a. werden junge Stängel und Blattstiele (nach Entrindung) als Delikatesse roh verspeist. In Lappland bereitet man aus den jungen Blütendolden und Rentiermilch eine käseartige Speise. Wegen der Häufigkeit der Wildpflanze und sicher auch wegen der nomadischen Lebensweise einiger nordischer Völker wurde die Art zunächst nicht in Gartenkultur genommen. Dies scheint erst ab dem 12. Jahrhundert der Fall zu sein. Die älteste Erwähnung für Mitteleuropa findet sich im Gothaer Arzneibuch aus der Mitte des 14. Jahrhunderts unter dem Namen Heiliggeistkraut. Damals ist die Art in Klostergärten vor allem als Mittel gegen die Pest angebaut worden.

Wahrscheinlich ist die Engelwurz auch zu dieser Zeit in Europa zum obligaten Bestandteil des Theriaks geworden. Nach anderen Quellen geht dies auf arabische Ärzte des Mittelalters zurück, wobei sich dann wieder die Frage stellt, woher Araber eine nordische Gebirgspflanze gekannt haben sollen. Theriak war ürsprünglich ein antidoton, ein Gegengift, das Andromachus, der Leibarzt Neros, entwickelte und neben Opium und Vipernfleisch verschiedene Würzkräuter, Wurzeln, Honig und Wein enthielt. Theriak bekam im Mittelalter den Ruf eines Allheil- und Wundermittels und sollte sogar gegen Syphilis und Pest helfen. Besonders seit der großen Pestepidemie von 1348 galt Theriak als Panazee  (allmächtiges Heilmittel). Damals bestand der Theriak neben 60 (manchmal bis zu 300 !) weiteren, oft wechselnden Zutaten, vor allem aus Opium sowie Engelwurz, Arznei-Baldrian (Valeriana officinalis) und Möhrensamen (Daucus carota). Einer der wichtigstens Handelsplätze für Theriak war Venedig, was nicht unwesentlich zum Reichtum der Kaufmannsstadt beitrug. Wegen der wirtschaftlichen Beziehungen zu Asien war besonders das Opium in reiner, nicht verlängerter Form erhältlich. Im 18. Jahrhundert begann der Ruhm des Theriak zu verblassen. In der Pharmacopoea Germanica von 1872 wird noch ein Electuarium Theriaca aufgeführt, das nur noch 12 Zutaten enthält. Einen letzten Nachhall hat Theriak in der Naturheilkunde als "Elixier für ein langes Leben" und als "Schwedenbitter" gefunden.

Die wichtige Rolle der Engelwurz im Theriak des Mittelalters, sie wurde vielfach auch nur Theriakwurz genannt, hat vielleicht manche Autoren von Arznei- und Kräuterbüchern zu dem Fehlschluss verleitet, dass auch schon der antike Theriak Engelwurz enthalten hat. Dies stimmt aber nachweislich nicht. Deshalb ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass der Verfasser des Capitulare die Engelwurz überhaupt kannte. Also gehört die Engelwurz eigentlich gar nicht in den Karlsgarten hinein.

Der Name Engelwurz bzw. Angelica taucht erstmals bei Tabernaemontanus (1588) auf. Der Name bezieht sich wohl auf die überirdischen Kräfte, die der Pflanze zugeschrieben wurden. Legenden, nach denen z.B. der Erzengel Rafael einen Einsiedler auf die Heilkraft der Pflanze aufmerksam gemacht habe, sind vermutlich in der Folge entstanden. Spekulationen, nach denen die Art schon in Skandinavien Kultobjekt heidnischer Bräuche gewesen sein könnte, die dann in die christliche Gedankenwelt übertragen wurden, entbehren jedweder Belege.

Die heutige Kulturform var. sativa ist wahrscheinlich in dieser Zeit in MItteleuropa herausselektiert worden. Die Abbildung bei Tabernaemontanus (1588) zeigt noch eine Pflanze, die dem Wildtyp mit gering verzweigter Rübe (var. norvegica) entspricht. Bei Bauhin (1651) ist bereits eine Pflanze abgebildet, die weitgehend der var. sativa gleicht. Besonders deutsche Herkünfte waren im Handel begehrt. Die von Karthäuser-Mönchen in Freiburg im Breisgau hergestellte Droge Radix Angelicae Brisgoicae war bis ins 18. Jahrhundert geschätzt. Ebenfalls bis in diese Zeit war Nürnberg ein wichtiges Handelszentrum für Theriak. In größerem Umfang wurde die Art auch um Schweinfurt angebaut, was vielleicht der Grund dafür ist, dass der Main bis heute den Schwerpunkt verwilderter Vorkommen darstellt.

In Frankreich entwickelte sich u.a. die Gegend um Clermont-Ferrand zum Zentrum des Engelwurzanbaus. Französische Mönche schafften es auch, aus der ursprünglichen Heilpflanze Süßigkeiten zu zaubern und sie zum Aromatisieren von Likören (Chartreuse) zu verwenden.
 

zum Seitenanfang
 

Heutige Bedeutung und Verwendung

Die wichtigsten Inhaltsstoffe sind aetherische Öle vom Phellandren-Typ, ferner Kaffeesäurederivate wie Chlorogensäure und Flavonoide. Darauf beruhen die auch in der Schulmedizin anerkannten Wirkungen der "Wurzel" (Radix Anglicae) bei verschiedenen Verdauungsstörungen. Nachgewiesen ist die krampflösende Wirkung auf den Magen-Darm-Trakt, die Steigerung der Magensaftsekretion und gallelösende Eigenschaften. Vom Kraut und den Früchten sind keine medizinischen Wirkungen belegt. In der Naturheilkunde werden sie als harn- und schweißtreibendes Mittel angesehen. Die Volksmedizin kennt noch zahlreiche weitere Anwendungen. In Lappland wird die Pflanze z.B. auch als Wurmmittel verwendet. In allen Pflanzenteilen sind Furocumarine, z.B. Angelicin, enthalten, die die Lichtempfindlichkeit der Haut steigern, was bei starker Sonnenexposition zu Dermatosen führen kann. In wesentlich stärkerer Form ist dieser Effekt auch vom weitläufig verwandten Riesen-Bärenklau oder Herkuleskraut (Heracleum mantegazzianum) bekannt. Dem Botaniker Thellung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Zermatt berichtet, dass sich ein spielendes Kind, das ein Stengelstück der Engelwurz als "Fernrohr" vors Auge gehalten hatte, erheblichen Ausschlag um das Auge zugezogen hat.

Wirtschaftlich bedeutender ist heute die Verwendung in Confiserien und Genussmitteln. In Frankreich, aber auch in Österreich werden Stengelstücke kandiert oder als Zutat für Torten verwendet. Zahlreichen Likören verleiht die Engelwurz ihren typischen süßlich-aromatischen Geschmack, z.B. im Benediktiner oder im Chartreuse. Dass es sich hierbier um traditionelle Klosterliköre handelt, ist natürlich kein Zufall, ist doch die Kultur der Engelwurz in Mittel- und Westeuropa zuerst in Klöstern erfolgt. Heute wird dazu allerdings nicht mehr die Pflanze selbst verwendet sondern die konzentrierten aetherischen Öle, die durch Wasserdampfdestillation aus den Pflanzen gewonnen werden.
 

 

zum Seitenanfang
 
[Eine Seite zurück]  [Zur Übersichtsseite über den Karlsgarten]  [Home]
 
 
zuletzt geändert am: 5.8.2000